„Ich habe einen Traum“: Heike Bischoff hält inspirierende und zukunftsweisende Derby-Rede

Anlässlich des traditionellen Derby-Dinners am Vorabend des morgigen IDEE 146. Deutschen Derbys im Kempinski Hotel Atlantic in Hamburg hat Görlsdorf-Eigentümerin Heike Bischoff in ihrer bewegenden Derby-Rede zur Professionalisierung, Verjüngung und Zukunftssicherung des deutschen Turfs aufgerufen.

„Ich habe einen Traum“

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Senator, lieber Atti Darboven, liebe Züchterkollegen und Rennsportfreunde,

es ist mir eine besondere Ehre und sehr große Freude heute hier vor Ihnen stehen zu dürfen um die Derby-Rede zu halten. Meine Familie und ich haben im letzten Jahr mit dem Sieg von Sea The Moon im 145. Deutschen Derby das großartigste und emotional schönste Erlebnis hier in Hamburg gehabt. Es war Magie.

Kurz vor dem Derby geht der Mond über der Horner Rennbahn auf. In einem azurblauen Himmel. Nur ein paar Minuten später ruft der Rennbahnsprecher Sven Wissel über die Lautsprecher: „Der Mond geht auf, der Mond geht auf in Horn. Sea The Moon geht auf und davon mit Christophe Soumillon. Sea The Moon, der Mond ist aufgegangen. Sea The Moon gewinnt ganz, ganz überlegen das deutsche Derby.“

Was für ein Moment!

Meine Dankbarkeit ist riesengroß und richtet sich an den Sponsor Atti Darboven und alle Rennsportfreunde, die mit viel Engagement so etwas erst möglich machen.

Besonders dankbar bin ich natürlich meinem Vater, der 1992 das Gestüt Görlsdorf als absolutes Greenhorn von der Treuhand übernahm. Wie so vieles im Leben, geschah auch dies rein zufällig. Ein guter Freund und Notar meines Vaters las in einer Berliner Tageszeitung, dass in Hoppegarten Rennpferde versteigert werden. So rief er bei meinem Vater an und fragte: „Hinrich, hast du nicht Lust mitzukommen?“ Mein Vater hatte Lust, musste dann aber kurzfristig absagen. Es kam dann allerdings noch ein Anruf, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er jetzt stolzer Mitbesitzer einiger
Rennpferde sei. Nun wollte man natürlich seine Pferde auch mal kennen lernen und so stattete man dem Trainer Ecki Gröschel in Neuenhagen einen Besuch ab. Das war alles sehr unterhaltsam und der Trainer hatte dann auch eine ganz großartige Idee: Es wäre doch sicherlich interessant auch mal das Gestüt zu besuchen, in dem die Pferde zur Welt gekommen waren. Es wurde kurzerhand ein Termin verabredet für den Ausflug ins Jrüne, wie der Berliner sagt. Und ach! Wie waren schön die Pferde auf dem Gestüt und die Landschaft erst! Na ja, die Gebäude waren etwas heruntergekommen, man müsste schon ein bisschen was machen, aber die Landschaft und die Pferde, ein Traum.

Da nun dringend ein Geldgeber gesucht wurde, damit die armen Pferde auch weiter ihren Hafer bekamen, hat sich mein sehr tierlieber Vater doch sehr blauäugig der Sache angenommen. Man versuchte sein Bestes, gab Unmengen von Geld aus, um unter anderem bei aufregenden Ausflügen nach Kentucky so richtig übers Ohr gehauen zu werden. Zum angeblichen Spottpreis kaufte man so großartige Hengste wie Czaravich und immerhin den Kentucky Derby Sieger Gato del Sol. Das ganze Projekt war halt Learning by Doing. Langsam lernten wir dazu. Nur sehr schade, dass dies hier alles mein Vater nicht mehr miterleben konnte. Er verstarb am 11.11.2005. Er hatte sehr viel gesät und wir sind nun die Glücklichen, die die Ernte
einfahren können. Danke Papa!

Dieser Elf-Längen-Sieg von Sea The Moon war natürlich etwas ganz Besonderes und Außergewöhnliches. Daniel Delius berichtete in der Turf-Times: „Christophe Soumillon kann sich in aller Ruhe umsehen, seine Peitsche steckenlassen, Sea The Moon marschiert wie von einem anderen Stern und gewinnt das Idee 145. Deutsche Derby mit elf Längen. Eine Sternstunde des deutschen Turfs.“

Oder wie Peter Scheid im Editorial der Sport-Welt bemerkte: „Dass ein Hamburger Derbysieger im Ranking über den Epsom- und Irish-Derby-Sieger gestellt wird, ist für Turf-Deutschland eine gewaltige Nummer. Aber Sea The Moons Leistung war halt auch gigantisch.“

Nun gehört zu einem Top-Athleten, damit er sein Können abrufen kann, natürlich auch ein Top-Team, das möglichst viel richtig macht und vor allem das Pferd glücklich und gesund hält. An dieser Stelle möchte ich mich noch mal recht herzlich bei allen Beteiligten für das tolle Teamwork bedanken: Bei Markus Klug und seiner Mannschaft, bei Dr. Günther Paul und der Mehl-Mülhens-Stiftung für die Bereitstellung der wunderschönen Trainingsanlage, bei allen Görlsdorfer Mitarbeitern, bei Herrn Dirk Eisele als persönlichem Betreuer von Moonie, bei Frau Dr. Ietje Leendertse und ihren Kollegen, bei der Osteopathin Frau Dr. Verena Adelheidt, bei Frau Dr. Christa Finckler-Schade für die Futterkalkulation und natürlich
bei Christophe Soumillon für die Professionalität und seinen spektakulären Ritt. Er hat Sea The Moon zu einem Weltstar gemacht!

Ich kann Ihnen berichten: Sea The Moon geht es gut. Er ist jetzt bekanntlich Deckhengst, steht in Newmarket auf dem Lanwades Stud von Kirsten Rausing und hat zum 1. Juli ganze 123 Stuten tragend gedeckt.

Das war ein kurzer Blick in die Vergangenheit, doch eine Derby-Rede sollte ja bekanntlich auch in die Zukunft schauen. Deshalb bitte ich Sie nun, für einen Moment in sich zu gehen und sich ein Bild zu malen vom deutschen Galopprennsport im Jahre 2045, wenn Sophie und Katharina, meine beiden Töchter, eine sitzt hier im Saal, so alt sein werden wie ich es jetzt bin.

Sicher hat jetzt jeder von uns sein eigenes Bild.

Was wir alle mit Sicherheit wissen ist, dass der Wandel und die Veränderung unumgänglich sind. Der Fortschritt ist es aber nicht.

Der Fortschritt hängt davon ab, dass wir heute die Weichen für die Zukunft stellen. Und ich rede nicht über die Weiche in Richtung PMU. Denn: Als Vorstandsmitglied der Besitzervereinigung habe ich bis heute keinerlei offizielle Informationen über den geplanten PMU-Deal erhalten. Trotz Mitgliedschaft im Direktorium, das ja mehrheitlich von den Besitzern und Züchtern finanziert wird, hat uns niemand informiert, dass die Rechte für die Bilder und Daten unserer Rennen für viele Jahre an eine dann mehrheitlich in ausländischer Hand befindliche Gesellschaft gehen sollen.

Wohlgemerkt sprechen wir hier von einem Deal, der schon in 48 Stunden am kommenden Montag hier in Hamburg im NH Hotel an der Rennbahn besiegelt werden soll. Was ich bisher über die Medien und andere Quellen in Erfahrung bringen konnte, hat mich zutiefst erschüttert. Für mich klingt das alles nach einer feindlichen Übernahme: Wir würden uns unserer wirtschaftlichen Grundlage sowie aller Gestaltungsmöglichkeiten berauben und faktisch einem Ausverkauf unseres Sports nach Frankreich zum Nulltarif zustimmen.

In meiner zweiten Heimat Mallorca erlebe ich, was ein Ausverkauf an die PMU für die Pferde bedeuten kann: Während die Traber dort früher erst ab 22.00 Uhr abends an den Start gingen, weil es tagsüber einfach zu heiß ist, laufen die Pferde heute schon mal auf Wunsch der PMU zur unerträglichen Mittagshitze. Alles tanzt nur noch nach der Pfeife von Paris.

Vor diesem Hintergrund frage ich mich seit gestern: Können wir unseren Führungskräften bei so viel Intransparenz eigentlich noch vertrauen?

Schon einmal in der jüngeren Vergangenheit, das war 2010, haben wir alle gemeinsam eine überlebenswichtige Weiche erfolgreich gestellt – und dabei blieb der Zug im eigenen Land. Mit der Geburt von German Racing haben wir es geschafft, das Direktorium vor dem Bankrott zu retten. Und wie haben wir das geschafft? Wir haben uns für diese Mega-Aufgabe Profis mit an Bord geholt, einen Master-Plan entwickelt und mit Hilfe dieser Profis auch für seine Umsetzung gesorgt.

Leider wurden diese Profis als erste wieder von Bord geschickt, weil sie Geld kosten. Diese Kompetenz-Lücke konnte – nach meiner Ansicht – bis heute keiner schließen. Heute fährt der Zug „German Racing“ – wie man überall sehen kann – noch immer in die richtige Richtung. Aber doch eher als ein Bummelzug ohne Service und nicht als ICE mit höchstem Standard, bestem Service und exzellenter Bordküche.

Wir müssen uns heute fragen: Wollen wir in 30 Jahren als die Totengräber des deutschen Rennsports dastehen? Oder beginnen wir endlich strukturiert wieder an der Zukunft zu arbeiten. Hierfür brauchen wir Profis und den berühmten Master-Plan. Es muss nun endlich Professionalität und Kompetenz in unseren Laden einkehren. Der technische und kommunikative Wandel hat uns schon überrollt. Und warum? Weil wir in unseren Strukturen völlig überaltert sind.

Auch ich, mit Mitte 50 eines der jüngsten Mitglieder im Vorstand der Besitzervereinigung, fühle mich aktuellen Themen wie Digitalisierung, Big Data,
Social Media oder Industrie 4.0 nicht mehr gewachsen. In allerletzter Sekunde konnten wir mit German Racing 2010 auf den digitalen Zug der Online-Wette springen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie es heute um unseren Sport stünde, wenn wir damals auf die Gegner gehört hätten, die diese Modernisierung verhindern wollten.

Leider wurden die anderen Bereiche des damaligen Master-Plans nicht mehr vorangetrieben, beziehungsweise behindert. Die Dachmarke German Racing mit der zentralen Vermarktung unseres Sports wurde boykottiert und ist immer noch eine leere Hülle. Die einzige Verjüngungskur, die Bildung von German Racing Next Generation, wurde zu meiner Überraschung nicht mit offenen Armen aufgenommen. Im Gegenteil! Unsere neue Nachwuchs-Organisation wurde erst ignoriert, später sogar angefeindet und das von führenden Persönlichkeiten unserer Gremien. Diese Ignoranz ist die betrübliche Verschwendung von Zukunftspotential.

Zum Glück gibt es auch sehr positive Ausnahmen. Fragen Sie doch bitte mal Eckhardt Sauren vom Kölner Rennverein, was Mitglieder von Next Generation allein in der Domstadt alles auf die Beine gestellt haben. Ganz besonders hervorzuheben ist das tolle Engagement von Christoph Holschbach, einem Mitglied der ersten Stunde bei Next Generation. Er hat in Weidenpesch gemeinsam mit Henk Grewe einen neuen Rennstall mit über 20 Pferden gegründet. Auch die neue Internet-Plattform „dein-rennpferd-de“, gegründet vom Next Generation Mitglied Jonas Schorfheide, hat bereits zwei Rennpferde. Eines davon, Uncle Muf, lief heute hier in Hamburg und hat zahlreiche eigens angereiste Mitbesitzer an die Wettkassen
gelockt. Oder haben Sie vielleicht heute Humor auf Ihrem Wettzettel gehabt? Humor ist einer der Galopper des Stalls „just4turf“, dem Rennstall der Next Generation. Das andere Pferd heißt Angreifer und läuft morgen.

Unsere Freunde in England, Frankreich, Irland und Schweden zeigen uns, wie man mit Racing Clubs dieser Art gleich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Mehr Pferde in unser Renn-System zu bekommen, neue Besitzer und Fans zu gewinnen und mehr Wettumsatz zu generieren. In Schweden ist der Dachverband selbst aktiv geworden, in Frankreich ist es die größte Auktionsgesellschaft Arqana – und bei uns? Ich habe sowohl unserem Direktorium als auch der Besitzervereinigung und der BBAG bereits vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Gründung neuer Racing Clubs
proaktiv zu forcieren – bisher leider vergeblich.

Sie sehen, wir können es uns einfach nicht mehr leisten, die weltweiten Mega-Trends zu ignorieren. Fünf dieser Trends, die mir besonders wichtig für unseren deutschen Rennsport erscheinen, möchte ich im Folgenden einmal anschneiden:

1. Digitalisierung und Innovation

Nutzen wir konsequent alle Potentiale zur digitalen Vermarktung unseres Sports? Ich meine: nein! Drei Zahlen können das exemplarisch ganz gut veranschaulichen. Auf Facebook hat der Hamburger Renn-Club, der mit dem Derby für uns die wichtigste Rennsportveranstaltung austrägt, 1.500 Fans. Der CHIO in Aachen, die wichtigste Reitsportveranstaltung, hat 94.000 Fans und der HSV hat sogar über 700.000 Fans. Hier wird deutlich, dass wir großen Nachholbedarf haben und dringend junge Leute an Bord holen müssen. Noch düsterer sieht es aus, wenn wir Aspekte wie Online-Ricketing, Smartphone-Apps, HD-Livebild-Übertragung oder Web-basierte Merchandising-Shops betrachten, die in vielen anderen Sportarten längst zum Standard gehören.

Investieren wir ausreichend in die Entwicklung innovativer Produkte und Services sowie neuer Geschäftsmodelle? Ich kann das nicht erkennen. Ein
Kompetenzzentrum, das permanent den Markt im Auge behält, Ideen aufgreift und weiterentwickelt, ist dringend von Nöten. Und da sind wir schon beim nächsten Mega-Trend.

2. Professionalisierung und Verwissenschaftlichung

Die Deutsche Fußball Liga GmbH und die geplante Etablierung der DFB-Akademie ausgerechnet auf der Frankfurter Rennbahn stehen exemplarisch für eine massive Veränderung des nationalen wie internationalen Sportwesens: Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports verlangt nach unternehmerischen und wissensbasierten Strukturen, die typischerweise in Form von professionell geführten Profit-Centern jenseits der traditionell gemeinnützigen und ehrenamtlichen Vereinsstrukturen aufgebaut werden.

Der Rennsport muss sich entscheiden: Will er als eine von einer Handvoll Mäzenen gepäppelte Liebhaberei sein Schattendasein weiter fristen oder als professionell und marktorientiert geführtes Sport-Business zurück ins Rampenlicht kehren?

Sind unsere komplexen und weitgehend ehrenamtlichen Verbands- und Vereinsstrukturen noch zeitgemäß? Nein! Wir brauchen eine radikale Vereinfachung unserer internen Organisation. Wir brauchen eine klare Trennung zwischen repräsentativ-kontrollierendem Ehrenamt und operativ unternehmerischem Hauptamt, um an Agilität und Durchschlagskraft im Markt zu gewinnen.

Sind unsere Führungskräfte den immer größer werdenden Herausforderungen noch ausreichend gewachsen? Aus meiner Sicht muss hier unbedingt eine Verjüngung und Professionalisierung auf allen Ebenen erfolgen.

Schaffen wir genug Raum für Dialog und Weiterentwicklung? Um den internen und Rennsport-übergreifenden Erfahrungs- und Wissensaustausch zu fördern, wäre ein jährliches Forum für Aktive, Funktionäre, Kunden, Partner, Sponsoren und Dienstleister von Vorteil, zu dem auch internationale Rennsport-Vertreter sowie externe Referenten aus Medien, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eingeladen werden sollten. Als Vorbild könnte hier z.B. die seit 1990 jährlich vom Jockey Club in den USA durchgeführte „Annual Round Table Conference“ dienen.

3. Eventisierung und Erlebnis-Orientierung

Der gesamte Sport- und Freizeitmarkt wird immer vielfältiger und wettbewerbsintensiver. Wer als Sportart in diesem Umfeld bestehen will, der muss konsequent emotionalisieren, medial inszenieren und kommerzialisieren: Der Sport wird zum Event und Gemeinschaftserlebnis für den Freizeitkunden, auf dessen ganzheitliche Unterhaltung sämtliche Aktivitäten auszurichten sind.

Sind wir als Galopprennsport bereit, diesen Wandel mitzugehen und ihn selbst aktiv voranzutreiben? Bieten wir mit unserem Sport derzeit genug Spannung und Entertainment? Mein Eindruck ist, dass wir im Hinblick auf die Zugänglichkeit des Sports für Newcomer und die Entwicklung von Stars und Stories noch sehr viel von anderen Sportarten lernen können. Ich fand es sehr interessant, wie sich z.B. die damalige Randsportart Biathlon neben dem Fußball medial dauerhaft etablieren konnte.

Eine weitere Frage: Wird unsere Infrastruktur modernen Anforderungen noch gerecht? Nein! Der Zustand der Tribünen, VIP-Logen, Sanitäranlagen und vor allem auch der Aktiven-Bereiche wie auch der Gastboxen ist auf zahlreichen Rennbahnen beklagenswert und stark sanierungsbedürftig! Das gastronomische Angebot ist oftmals mehr als unzulänglich. Und ich spreche aus Erfahrung. Als wir unseren ersten klassischen Sieg mit Hey Little Görl im Dortmunder St. Leger feiern wollten, konnten wir keinen Champagner erwerben, es gab auf der ganzen Anlage nur eine einzige Flasche Rotkäppchen-Sekt, die uns netterweise Präsident Hans-Hugo Miebach spendierte. Ein wahres Armutszeugnis!

Sind unser Sponsoring-Angebot und unsere Medienarbeit noch zeitgemäß? Sponsoren wie Medien werden immer anspruchsvoller und verlangen heute eine professionelle und proaktive Betreuung – gefragt sind „value for money“ und „content that sells“. Es darf nicht sein, dass wir als Rennsport auf nationaler wie regionaler Ebene oftmals nicht in der Lage sind, interessierten Unternehmen ein hochwertiges Portfolio von Sponsoring-Paketen einschließlich Besucherdaten, Marketingkanälen, Referenzen und persönlichem Ansprechpartner anzubieten. Schon mehrfach lagen umsetzungsfähige Konzepte auf dem Tisch für eine zentrale, Galopp-eigene Event und Marketing-Agentur, die als Profit-Center die Rennvereine unterstützen und neue Konzepte entwickeln soll. Hier müssen wir endlich loslegen!

4. Globalisierung und Internationale Vernetzung

Die Welt ist flach geworden und mit ihr die globalen Handels-, Finanz- und Dienstleistungsströme. Auch der deutsche Galopprennsport profitiert von dieser engen internationalen Verzahnung. Doch sind wir auch für den internationalen Wettbewerb der Zukunft gut aufgestellt? Sprechen wir auch internationales Publikum hinreichend auf unseren Rennbahnen an? Schöpfen wir das Potenzial internationaler (Wett-)Märkte bestmöglich aus? Mir ist z.B. leider keine Rennbahn in Deutschland bekannt, die zumindest an Gruppe-Renntagen grundlegende Informationen auch in englischer Sprache bereitstellt. Auch auf den Webseiten unserer Verbände und Gestüte werden internationale Wetter, Züchter und Turf-Fans kaum mit englischsprachigen Inhalten abgeholt.

Warum gelingt es uns nicht besser, Partnerschaften mit den neuen Rennsportländern im Nahen Osten zu entwickeln? Während insbesondere Persönlichkeiten und Unternehmen aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten dank zahlreicher Sponsorings und Investments aus den Rennsport-Ländern England, Frankreich und Irland kaum mehr wegzudenken sind, treten sie bei uns nur hin und wieder in Form von Rennpferd-Käufen oder bei Starts ihrer Pferde auf hiesigen Rennbahnen in Erscheinung. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir noch viel mehr Kooperation
erreichen könnten, wenn wir die Sache einmal strategisch angehen würden.

Symptomatisch für unseren Sport sind sehr lobenswerte Initiativen einzelner Persönlichkeiten, wie z.B. die Fußball-Partnerschaften von Dr. Andreas Jacobs oder aktuell seine neuen Verbindungen zu den Kataris. Hier könnten eine Bündelung aller Kräfte und eine professionelle Begleitung durch unsere eigene Event- und Marketing-Agentur Synergien schaffen und einen noch weit größeren Nutzen für unseren Sport generieren. Ich stelle mir z.B. vor, unsere Gruppe-1-Rennen zu einer prestigeträchtigen Rennserie mit einem großen Haupt-Sponsor und einheitlichen Event-Standards zu verknüpfen.

5. Demografischer und sozialer Wandel

In den kommenden 30 Jahren wird die Bevölkerung in Deutschland um ca. 9% schrumpfen. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, sich jetzt konsequent der Jugend und unseren Mitbürgern mit Migrationshintergrund zu öffnen. Auch konkrete Kundenakquisitions- und Kundenbindungsprogramme, wie sie in anderen Rennsport-Nationen längst etabliert sind, werden jetzt endlich gebraucht.

Tun wir genug, um junge Leute der sogenannten Generationen Y und Z an den Rennsport heranzuführen? In der Jugend liegt die Zukunft – doch leider fehlt es auch hier an einem ganzheitlichen Ansatz, um junge Menschen nicht nur als Gelegenheits-Besucher unserer Renntage, sondern auch als Nachwuchs für Aktive, Wetter, Besitzer, Züchter und Funktionäre aufzubauen. Wir müssen dringend um die nächste Generation werben. Die Studierenden von heute sind die Ärzte, Anwälte, Unternehmer und Vorstände von morgen.

Werden wir überhaupt von unseren wirtschaftlichen Eliten noch als attraktiver Sport wahrgenommen? Machen wir uns nichts vor: Der Besitz, das Training und die Zucht von Vollblütern sind ein kostspieliges Unterfangen, das entsprechenden Wohlstand voraussetzt. Doch gilt ein eigenes Rennpferd unter Unternehmern, Anwälten, Ärzten, Bankern und Vorständen heute noch als begehrenswertes Statussymbol? Aus
meiner Sicht müssen wir diese für unseren Fortbestand so immens wichtige Gruppe von Investoren und Multiplikatoren wieder viel stärker aktivieren und integrieren!

Und ich kann mich nur noch einmal wiederholen: Die Studierenden von heute sind die Ärzte, Anwälte, Unternehmer und Vorstände von morgen!

Meine Damen und Herren, die von mir skizzierten Mega-Trends machen vor allem eines deutlich: Der uns bevorstehende Wandel von Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft ist unumgänglich. Der Fortschritt und die Weiterentwicklung unseres Sports sind es aber nicht: Diese hängen davon ab, dass wir heute mit Herz und Verstand die Weichen für die Zukunft stellen.

An Vorbildern, Ideen und Konzepten mangelt es uns wahrlich nicht. Dies zeigen nicht nur die Reden meiner Vorgänger an gleicher Stelle, sondern auch die studentischen Ideenwettbewerbe der Jahre 2012 und 2013 und nicht zuletzt die vielen Vorschläge und Impulse von Aktiven, Wettern, Fans und Sponsoren.

Woran es uns aber seit Jahren sehr wohl fehlt, ist der Mut und die Entschlossenheit, kleingeistiges Denken, Rivalität und Eitelkeit zugunsten eines gemeinsamen großen Wurfes zu überwinden. Zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit benötigen wir dringend ein konkretes Leitbild und einen Master-Plan für unsere sportliche und wirtschaftliche Zukunft. Dabei gilt es, im Rahmen eines Strategieprojekts messbare Ziele, operative Handlungsfelder, konkrete Maßnahmen, realistische Budgets und klare Verantwortlichkeiten zu definieren und dies schrittweise in die Praxis umzusetzen.

In der konsequenten und möglichst raschen Umsetzung liegt für uns die entscheidende Herausforderung, der wir uns nun endlich stellen müssen. Hierfür müssen wir wie schon beim letzten großen Wurf noch einmal Geld in die Hand nehmen. Und ich möchte hier eindringlich davor warnen, sich auf einem möglichen PMU-Deal auszuruhen. Ob mit oder ohne PMU, wir werden diese notwendigen Reformen selbst umsetzen müssen.

Dass sich eine Investition in den deutschen Galopprennsport lohnen kann, haben wir alle am Beispiel von German Racing erfahren: Die Investoren erhalten ab diesem Jahr 2,5% Dividende steuerfrei – weit mehr, als jede Bank zurzeit Zinsen zahlt.

Ich habe heute Abend aber nicht nur „Blut, Schweiß und Tränen“ anzubieten, sondern vor allem auch einen großen Traum. Ich träume davon, dass unser traditionsreicher und in seiner Faszination einzigartiger Sport auch noch in 10, 20 oder 30 Jahren die Menschen in unserem Land immer wieder aufs Neue begeistert.

Ich träume davon, dass auch meine Enkel und Urenkel noch in den Genuss kommen werden, dieses unbeschreibliche Vibrieren und den Adrenalin-Kick eines Rennens auf einer heimischen Rennbahn zu erleben.

Und vor allem träume ich davon, dass unser Sport aus dem heutigen Tal der Tränen gestärkt hervorgehen und in Zukunft wieder einen festen Platz unter den führenden Sportarten in Deutschland einnehmen wird! Ich lade Sie ein, diesen großen Traum mit mir zu träumen und ihn gemeinsam wahr werden zu lassen!

Und ich fordere hiermit die Verantwortlichen in unseren Führungskreisen auf, die jungen, kreativen und engagierten Kräfte aus der nächsten Generation als Mentoren an die Hand zu nehmen und ihnen die Türen in die Gremien zu öffnen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Abend und allen Beteiligten für das morgige Idee 146. Deutsche Derby „Hals und Bein“!

Möge das beste Pferd gewinnen und mögen alle heil ins Ziel kommen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(04.07.2015)